Die diesjährigen Referenten, v.l.: Thomas Schweigl, Peter Stückler, Christian Moser, Hermann Schwarzenbacher, Beate Berger, Johann Sölkner, Reiner Emmerling, Rupert Viehhauser und Martin Stegfellner.

RINDERZUCHT AUSTRIA-Seminar zur Erhaltung der genetischen Vielfalt bei Rinderrassen

24.04.2024 16:24

Expert:innen tagten dazu im Heffterhof in Salzburg

Das jährliche Seminar der RINDERZUCHT AUSTRIA stand diesmal im Zeichen der Erhaltung der genetischen Vielfalt bei großen und kleinen Rinderrassen: Alte Ziele, neue Daten und Methoden“. Namhafte Expert:innen widmeten sich heuer der Genomik und deren neuen Möglichkeiten, die genetische Vielfalt innerhalb und zwischen den Rinderrassen zu erkunden. Dr. Erich Pucher, Naturhistorisches Museum Wien, zeigte die Entstehung der Rinderrassen und deren unterschiedliche Ausbreitung und Entwicklung entlang der unterschiedlichen Ausbreitungsrouten auf. So gab es im frühen 19. Jh. alleine in Mitteleuropa rund 100 Landrassen. Gesichert ist nach heutigem Wissensstand, dass die „taurinen“ Hausrinder ausschließlich vom Auerochsen (Bos primigenius) abstammen. Dieser hat sich nach der Eiszeit in mindestens drei Unterarten über weite Teile der gemäßigten Zonen der alten Welt verbreitet.

Internationale Datenbank für Nutztierrassen

Die Erhaltung der genetischen Vielfalt von Nutztieren aus Sicht der globalen Perspektive der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) und deren Bedeutung für die Evolution beleuchtete Dr. Roswitha Baumung. Zwar wird nur ein kleiner Teil der genetischen Vielfalt für die Landwirtschaft genutzt, so die Expertin, diese bildet aber die Grundlage der Lebensmittelversorgung. In diesem Zusammenhang verweist Baumung auf das „Domestic Animal Diversity Information System“ (DAD-IS), das im Jahr 1996 als Instrument zur Sammlung von Informationen über die weltweiten Nutztierrassen eingerichtet wurde. Die Datenbank ist unter https://www.fao.org/dad-is/en/ zu finden und dient als primäre Datenquelle für die Überwachung des Status der globalen Vielfalt der tiergenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft. Derzeit liefern 185 Länder Informationen an diese Datenbank. So finden sich aktuell 1.049 lokale, 105 regioniale und 110 internationale Rinderrassen in DAD-IS.

Mit ÖPUL zur genetischen Vielfalt

Dr. Johann Sölkner, BOKU Wien, zeigte die Diversität und Distanz der verschiedenen Rinderrassen auf und wie man die genetische Vielfalt innerhalb und zwischen den Rassen messen kann. Wenige männliche Tiere haben jeweils sehr viele Nachkommen. Das verbessert die Population und macht diese auch einheitlicher. Damit einher geht auch die Steigerung des Inzuchtgrades und damit eine Gradwanderung zwischen der Verbesserung der Produktivität und der Erhaltung der genetischen Vielfalt. Hier schafft das neue ÖPUL-Programm 2023 abhilfe, indem die Abstammung auf väterlicher und mütterlicher Seite mit SNP-Markern durchgehend für alle Zuchttiere der gefährdeten Rasen geprüft wird, und das mit geförderten € 20 pro Tier. Mit diesen Informationen stehen damit zusätzliche züchterische Möglichkeiten sowie auch die Ausmerzung von Erbfehlern und die Möglichkeit, auch Ahnenforschung zu betreiben, zur Verfügung. Analysiert man die Distanzen zwischen den Rassen anhand eines Phylogramms, so zeigt das die gemeinsame Herkunft und Verwandtschaft örtlich benachbarter Populationen.

Erbfehlermonitoring durch Genomik

Dr. Hermann Schwarzenbacher, ZuchtData, erläuterte die Nutzung der Genomik zur Erkennung genetischer Besonderheiten und Bekämpfung von Erbfehlern, den aktuellen Stand des genomischen Monitorings über SNP-Daten beim Rind und die möglichen Auswirkungen auf die Zuchtprogramme . Die Genomik dient dabei nicht nur der Zuchtwertschätzung, sondern erleichtert die Suche nach Erbfehlern und genetischen Besonderheiten. Derzeit werden 113 Varianten bei 23 verschiedenen Rinderrassen im zweiwöchigen Abstand einem automatisierten Monitoring unterzogen. Allerdings ist bei den zahlenmäßig kleineren Rassenpopulationen ein proaktives Erbfehlermonitoring nur eingeschränkt möglich, da dafür sehr große Genotypenzahlen benötigt werden. Daher empfiehlt Schwarzenbacher bei diesen Populationen darauf zu achten, sowohl Väter als auch Mütter zu genotypisieren.

Erfolgreiches ÖPUL-Programm

Aktuelle Maßnahme im ÖPUL-Programm zur Erhaltung gefährdeter Nutztierrassen und wie dadurch die genetische Vielfalt besser erhalten werden kann, erläuterte Dipl.Tzt. Beate Berger von der HBLFA Raumberg-Gumpenstein. So waren ursprünglich alle gefährdeten Rinderrassen in Österreich Mehrnutzungsrinder auf Arbeits-, Fleisch- und Milchleistung. Der Rückgang des Bedarfs an Arbeitsleistung Mitte des 20. Jahrhunderts trug dann zum Niedergang dieser Rassen bei. Seit dem Jahr 1982 werden in Österreich Programme für die Erhaltung dieser Rassen angeboten. Mit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 wurde es Teil des ÖPUL-Programmes im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik. So konnten deren Populationen zumindest stabilisiert bzw. bei den Rassen Murbodner und Pustertaler Sprinzen ein kontinuierlicher Zuwachs erreicht werden. Weiters ist bei den meisten gefährdeten Rassen lt. ZuchtData Jahresbericht ein Trend weg von der Milchproduktion hin zur Fleischnutzung zu beobachten. Damit besteht die Gefahr, dass der Zweinutzungscharakter für diese Rassen verloren geht. Erhöhte Prämien für Kühe unter Milchleistungskontrolle könnten dazu beitragen, den Zweinutzungscharakter der gefährdeten Rassen auch in Zukunft zu bewahren. Eines der größten Hindernisse für eine kontinuierliche Populationsentwicklung in den früheren Programmen war der Einstiegsstopp, der im neuen Programm nun beseitigt werden konnte.

Zuchtfortschritt durch genomische Selektion

Die Entwicklung der Diversität in Zeiten von genomischer Selektion bei den Rassen Fleckvieh und Brown Swiss erklärte Dr. Reiner Emmerling vom LfL Grub in Deutschland. So hat die Einführung der genomischen Selektion im Jahr 2011 einige strukturellen Änderungen in den Zuchtprogrammen bewirkt. Auffallend sind lt. Emmerling die deutlich kürzeren Generations-intervalle, die hohen Selektionsquoten bei der Selektion von Besamungsbullen aus den genotypisierten Kandidaten und die Risikovermeidung durch den Einkauf kleinerer Halbgeschwistergruppen an den Stationen. Durch die intensive Nutzung der genomischen Zuchtwerte bei den Kandidaten zu den Besamungsbullen konnten u.a. deutlich höhere Fortschritte in den Fitnessmerkmalen erzielt werden. Auch die Verbreitung des Hornlosgens in die Fleckviehpopulation wäre ohne die konsequente Anwendung des genomischen Zuchtprogrammes nicht so schnell möglich gewesen. Dies hat allerdings auch Auswirkung auf die Entwicklung der Inzucht. Auffällig ist der deutliche Anstieg der Verwandtschaft zwischen den eingestellten Besamungsbullen obwohl gleichzeitig eine Konzentration auf einzelne Bullenväter aus Risikogründen im Allgemeinen eher vermieden wird. In der Kuhpopulation zeigen sich aktuell noch weniger starke Auswirkungen auf die Steigerung des Inzuchtgrades. Der Grund sind große Populationen, die sich genetisch nur langsam verändern lassen.

Umsetzung in der Praxis

Über die Erfahrungen mit der genomischen Selektion aus Sicht der Besamungs- und Zuchtorganisation berichtete DI Peter Stückler von Rind Steiermark. Vor 2011 bestand das konventionelle Zuchtprogramm mit Nachkommenprüfung aus dem Prüfstierankauf, anschließendem Prüfeinsatz, darauffolgender Wartestierhaltung und der letztendlichen Entscheidung über einen Wiedereinsatz nach Vorliegen der Ergebnisse. Der Zeitraum vom Jungstierankauf bis zum Wiedereinsatz betrug vier Jahre. Die Akzeptanz der genomischen Jungvererber war und ist unter den österreichischen Organisationen sehr unterschiedlich. 2013 lag die Bandbreite des Jungvererbereinsatzes in Österreich zwischen 30 und 70 %. Diese Unterschiede bleiben – wenn auch auf höherem Niveau – bis 2023 erhalten. Progressivere Züchter:innen mussten sich lange die Bezeichnung „Schreibtischzüchter“ gefallen lassen. Das Vertrauen in die Genomik nahm seit Einführung der Genomik aber stetig zu. Selektionsintensität und Generationsintervall sind wesentliche Faktoren für den Zuchtfortschritt. Wenn vor der genomischen Selektion die Auswahl der Jungstiere nur auf Basis des Ahnenindex erfolgte und durch die besten Töchter geprüften Stieren das Zuchtprogramm dominiert wurde, so wurde es mit der Genomik möglich, auch auf der weiblichen Seite mit der gleichen Qualität die beste Genetik zu selektieren und in weiterer Folge über Embryotransfer zu nutzen. In der Praxis hat sich jedenfalls die Anzahl der jährlichen Jungstierankäufe bei Genostar mehr als halbiert. Allerdings haben sich die Investitionen in Stierankäufe gleichzeitig mehr als verdoppelt, was sich auch in weiterer Folge auf den Spermapreis niederschlagen muss.

Genomische Selektion am Biobetrieb

Über den Einsatz der genomischen Selektion auf einem biologischen Zuchtbetrieb referierte der ambitionierte Rinderzüchter und Direktvermarkter Rupert Viehauser aus Kleinarl, Sbg. Er produziert mit 25 Milchkühen Milch für die hauseigene Hofmolkerei sowie für die Anlieferung an die Salzburg Milch. Am Betrieb selbst werden alle weibliche Kälber typisiert, die männlichen nach Bedarf sowie die Anpaarung erfolgt mit der App GS AIO mit dem betriebseigenem Stierpool. Die Entwicklung des Gesamtzuchtwertes ging in den vergangenen Jahren ständig nach oben und liegt im Herdendurchschnitt bei 120 Punkten. Beim Einsatz genomischer Jungvererber verhält sich Viehhauser eher zurückhaltend. Hier werden Samen ausschließlich aus einer guten Kuhfamilie und davon nur wenige Portionen eingesetzt. Er setzt dabei auf eine „gesunde Mischung“ aus genomischen Jungvererbern und nachkommengeprüften Stieren.

Forschen für die Praxis

Abschließend diskutierten Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis, wie alte Ziele der züchterischen Verbesserung bei Erhaltung der genetischen Vielfalt der Rassen am besten erreicht werden können, wie sich die Strategien bei kleinen und großen Rassen unterscheiden und wie die neuen Daten und Methoden hier unterstützen können. Thema war auch, wie man mit diesen Rassen auch die wirtschaftliche Komponenten verstärkt ins Spiel bringen kann. Gelobt wurde die Innovationsfreudigkeit dieser Branche sowie die gute Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Verbänden, Dachorganisation und Wissenschaft. Wichtig ist vor allem das ständige Bemühen, Wissenschaft und Forschung in einfacher Sprache für die Praxis herunterzubrechen. Einen ausführlichen Bericht sowie Fotos erhalten Sie auf www.rinderzucht.at unter Aktuelles bzw. unter nachfolgenden Link:

https://www.rinderzucht.at/nachricht/20240422-rinderzucht-austria-seminar-zur-erhaltung-der-genetischen-vielfalt-bei-rinderrassen.html

Phylogramm

Phylogramm der Rassen Ennstaler Bergschecken, Kärntner Blondvieh, Murbodner, Original Braunvieh, Original Pinzgauer, Pustertaler Sprinzen, Tiroler Grauvieh, Tux-Zillertaler und Waldviertler Blondvieh. Quelle: Sölkner

Entwicklung-gefaehrdeter-Rinderrassen

Kumulierte Populationszahlen gefährdeter Rinderrassen. Die Grafik zeigt die Zahlen lebender Zuchttiere der bisher als hoch gefährdet bzw. gefährdet mit besonderem Zuchtprogramm eingestuften Rassen von 2007 bis 2023. Im Jahr 2007 ging das Monitoringprogramm RDV-Mate in Betrieb. Die Populationen konnten bei allen Rassen zumindest stabilisiert werden. Bei den Murbodnern und Pustertaler Sprinzen zeigt sich ein erfolgreicher Populationsaufbau. Die Zahlen für die Rassen Original Pinzgauer und Tiroler Grauvieh waren bisher für das Monitoring im RDV nicht zugänglich. Quelle: Berger